Ganz viel Zeit
Ganz viel Zeit

Ganz viel Zeit

Kürzlich ging mir auf, dass ich inzwischen seit 3 ½ Jahren in Rosien lebe. Auf dem Land, und zwar so richtig auf dem Land. Nicht etwa im Speckgürtel, wohin es Stadtflüchtige gerne zieht. Zwar nehmen mir Familienangehörige, Freunde und Bekannte, die mich über Jahrzehnte begleitet haben, noch immer nicht ab, dass ich keine bessere Entscheidung habe treffen können als die, aufs Land zu ziehen. Nach JWD, wie die Berliner sagen, nach janz weit draußen.

Obwohl ich hier ein glückliches und erfülltes Leben führe, hat sich mein Blick nicht verklärt. Wer Komfort bevorzugt, sollte in den Speckgürtel ziehen, bestenfalls sich von dem Gedanken verabschieden, auf dem Land leben zu wollen. Denn für JWD – Land pur – braucht es Ausdauer, Geduld und ganz viel Zeit. Etwa, um von A nach B zu kommen. „Um die Ecke“, wie ich es von meinem vorherigen Leben nahe der Schlossstraße in Berlin/Steglitz kenne, gibt es hier nichts. Auch keine Brücke, die die Elbe überquert.

Weite © GvP

Nach Corona und seit meiner Tätigkeit für unsere Gemeindebücherei braucht es zu meiner Freude auch für Plaudereien, Austausch und tiefere Gespräche Zeit: an der Kasse beim Konsum, auf dem Parkplatz vor Penny, am Gartenzaun und vor allem in der Bücherei. Für spontane Besucher sollte zudem immer ein Zeitfenster offenstehen. Eine Erfahrung, mit der ich mich anfangs schwertat. Verankert durch meine West-Sozialisation war, dass man Treffen vorher verabredet, Termine ausmacht, gegebenenfalls sogar verhandelt. Hier steht ein Besucher urplötzlich vor dem Gartentor. „Fuhr gerade vorbei und dachte, schau mal kurz rein.“

Apropos Zeit: Auszeiten fordert mir dieser herrliche Landstrich ebenfalls ab. Insbesondere jetzt im Herbst, wenn das Licht mild ist, der Blick in die Weite fällt, Kraniche, Wildgänse und Singschwäne vielstimmig aufspielen.

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Ein Kommentar

  1. Gerd

    Guter Versuch! Aber das ist für mich keine zutreffende Beschreibung vom Land. Dass man am Gartenzaun steht auf einen Schwatz, gibt’s auch in Lichterfelde. Und Penny Parkplätze sind als Kommunikationsplattform hier nur deswegen aus der Mode, weil drinnen der WLan Empfang besser ist. Büchereien aber sind überall wunderbar, ob „ums Eck“ oder im Haus des Gastes. In der Stadt übrigens eine der wenigen Möglichkeiten ohne Konsumzwang das Notebook in der Öffentlichkeit einzuschalten. Was es allerdings dummerweise gar nicht gibt in Mitte, ist Weite. Dafür hat die Berlin etwas, das es inmitten keiner Stadt sonst gibt – das weite Tempelhofer Feld, wo wir Drachen steigen lassen können.

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