Abgesehen von Redewendungen wie „sein Schäfchen ins Trockene bringen“ oder „schwarzes Schaf“ sagten mir Schafe bis zu meinem Vorhaben nichts, nach Rosien zu ziehen. Meine erste Begegnung mit ihnen hatte ich noch während der Bauphase. Und zwar mit einer großen Herde Zackelschafe, der letzten verbliebenen Schafrasse mit Schraubenhörnern, die Sabine und ich gehütet haben. Zwar ist das Zackelschaf eher klein und zierlich gebaut, dafür aber ziemlich lebhaft. Zudem verfügt es über sehr harte Klauen. Geheuer waren mir die Tiere nicht, dennoch hieß es, sie mit Heu zu versorgen.
Unvergessen das Moment am 21. April 2020. Nach meiner ersten Nacht im neu erbauten Haus machte ich mich frisch. Aus dem Badefenster fiel mein noch schlaftrunkener Blick auf eine grasende Herde, die Nachbar G. bis zum Sommer 2022 gehalten hat. Ich traute meinen Augen nicht. Da meine Nerven bedingt durch die strapaziösen Wochen vor dem Umzug angeschlagen waren, mutmaßte ich Wahnvorstellungen.
Längst habe ich mich daran gewöhnt, von Schafen umgeben zu sein. Sie stehen auf den Weiden fast aller meiner Nachbarn, kolossale Herden grasen an den Deichen. Bei Gängen entlang der Elbe kann man verschiedentlich Hütehunde bei ihrer Arbeit mit den Tieren beobachten. Großartig, was diese Hunde leisten! Wie sie die Herde zusammenhalten, teilen oder einzelne Schafe wieder zurücktreiben, beeindruckt mich immer wieder aufs Neue.
Wie Schaf schmeckt, durfte ich inzwischen auch probieren. Nicht mein Ding. Dass die Wolle von Schafen wärmt, war mir zwar bekannt, allerdings nahm ich an, dass sich das auf der Haut ziemlich kratzig anfühlt. Meine Zarte braucht halt flauschig.
Eines Besseren wurde ich auf dem hiesigen Brückenfest in Darchau am 3. Oktober 2022 belehrt. Bei den Amtsspinnerinnen, an deren Stand das Gedränge groß war. Nicht etwa, weil sie einen Vogel haben, sondern weil sie emsig Schafwolle spannen und bereitwillig über das alte Handwerk Auskunft gaben. Manch einer probierte sich am Spinnrad aus, andere erstanden Wärmendes für die bevorstehende kalte Jahreszeit von den Frauen, die sich im Jahr 2000 zusammengeschlossen und sogar die offenen Niedersächsischen Spinnmeisterschaften verschiedentlich in Neuhaus ausgerichtet haben.
Mein Blick fiel auf einen Poncho aus ungefärbtem Garn. Nach dem Anfassen und Anprobieren war mein Begehren groß. Ein flauschig-kuschelig wärmendes Unikat von hohem ideellem Wert. Wie viele Arbeitsstunden mögen darin stecken? Das Schaf muss versorgt und geschoren werden, die Wolle gereinigt, gegebenenfalls gefärbt, dann versponnen und schließlich verstrickt werden. Für noch kostbarer erachtete ich den Poncho als sich herausstellte, dass ihn meine Nachbarin E. aus der Wolle ihres Schafes gesponnen und gestrickt hat. Dass das Schaf den Namen Happy trug und ich ihm bei meinen Rundgängen in der Nachbarschaft verschiedentlich begegnet sein musste, bestärkte mich: Must-have! Der Gedanke, dass Nachbars Schafe aufmerken würden, wenn ich in Happys Wolle gewandet bei ihnen verbeigehe, elektrisierte mich zudem: „Schaut, da kommt eine von uns!“
Der Poncho ging in meinen Besitz über. Leider hat die nette Geschichte über das Schaf meiner Nachbarn, dessen Wolle und einen daraus gestrickten Poncho, den ich in Ehren tragen und halten werde, ein tragisches Ende. Happy wurde im Januar 2021 von einem Wolf gerissen. Tragend!
Das Merino-Schaf wurde nur 1 ½ Jahre alt.
Ihr wollt mehr lesen?
Hallo Gesine, Dein Wollbeitrag hat mich sehr gefreut, erinnerst Du Dich an mich? (Benidorm….) Wolle ist mein grosses Hobby und Schafe meine Lieblingstiere. Gut, dass Du gelernt hast, dass nicht jede Wolle einfach nur kratzig ist. Ich spinne, filze, habe einen Webstuhl und stricke…. die Wölfe sollte man – mindestens – regulieren, auch in der Schweiz ist das ein Riesenproblem, das praktisch nur am Bürotisch bestimmt wird. Ich hoffe, es geht Dir gut und geniesse die friedliche Umwelt bei Dir, Liebe Grüsse, Sonja
PS Demnächst gehe ich in die Strickferien nach Tenerifa – 3 Jahre lang darauf gewartet und nun stehts vor der Tür, endlich wieder mal Spanien….
danke für deine Rückmeldung. Gestern jährte sich Papis Todestag…
Wünsche dir eine gute Zeit auf den Kanaren.
Herzliche Grüße zu dir Gesine