Zur Fusion der „Schweriner Volkszeitung“ mit dem „Nordkurier”
Zur Fusion der „Schweriner Volkszeitung“ mit dem „Nordkurier”

Zur Fusion der „Schweriner Volkszeitung“ mit dem „Nordkurier”

Der weit verbreiteten Medienschelte widerspricht eine repräsentative Studie von Infratest, die im Dezember 2023 veröffentlicht wurde: In Krisenzeiten vertrauen die Deutschen mehrheitlich den Tageszeitungen!

Das wäre eine erfreuliche Nachricht, so sich die Tageszeitungen in Folge von Digitalisierung, Inflation und Kostensteigerungen nicht im Krisenmodus befänden, der inzwischen auch Leit- und Qualitätsmedien wie etwa die Süddeutsche Zeitung betrifft, die als Reaktion auf sinkende Printerlöse vorsieht, bis Ende 2024 etliche Stellen abzubauen.

In Metropolen wie München oder Berlin, wo politisch, kulturell oder gesellschaftlich Interessierte (noch) über ein vielfältiges Medienangebot verfügen, mag die unheilvolle Entwicklung bisher nicht sonderlich ins Gewicht fallen. Anderenorts aber scheint der demokratische Diskurs unmittelbar bedroht. Denn nur dort, wo ein vielstimmiges Angebot existiert, können Medien ihre Funktion erfüllen, die Demokratie zu fördern und kritisch zu begleiten.

Ein beklagenswertes Beispiel ist die jüngste Entwicklung im Flächenland Mecklenburg-Vorpommern mit rund 1,6 Millionen Einwohnern. Bis Ende 2023 waren dort drei Regionalzeitungen mit insgesamt rund 30 Lokalredaktionen vertreten. Die Schweriner Volkszeitung deckte das Informationsbedürfnis in Westmecklenburg, in Ludwigslust-Parchim und im Amt Neuhaus ab, die Ostseezeitung konzentrierte sich auf die Küstenregionen und der Nordkurier wurde überwiegend in Ostmecklenburg, im südlichen Teil Vorpommerns und im Landkreis Uckermark vertrieben.

Rückwirkend zum 1. Januar 2024 kam die „Schweriner Volkszeitung“ (SVZ), zu der die „Norddeutsche(n) Neuste Nachrichten“ und „Der Prignitzer“ gehören, von der Mediengruppe NOZ in Osnabrück zum Schwäbischen Verlag mit Sitz in Ravensburg, dem größten Zeitungslogistiker Baden-Württembergs. Freilich noch unter Vorbehalt einer Freigabe durch das Bundeskartellamt. Offenbar gab es gegen die geplante redaktionelle Verschmelzung mit dem seit 2021 auch zum Schwäbischen Verlag gehörendem Nordkurier Bedenken. Pünktlich zur Übernahme wurde im ersten Schritt der „Landkreis express“ eingestellt, ein in Westmecklenburg, Ludwigslust-Parchim und im Amt Neuhaus verbreitetes Anzeigenblatt der Mediengruppe NOZ, das wöchentlich mit der SVZ kostenlos an Haushalte ausgeliefert wurde.

Besitzerwechsel hat die SVZ im Verlauf ihrer 79-jährigen Entwicklung verschiedentlich erlebt. Im Juli 1945 als Organ der KPD gegründet, wurde die Zeitung nach dem Einheitsparteitag im April 1946 zum Sprachrohr der SED. Nach der friedlichen Revolution führte die Redaktion ihr Blatt zunächst in Eigenregie weiter, 1991 stieg Hubert Burda Media auf Betreiben der Treuhand ein. 2005 kam die SVZ, seinerzeit immerhin das noch zweitstärkste Blatt Mecklenburg-Vorpommerns, zum Schleswig-Holsteinischen Verlag, hinter dem die Medienholding Nord stand, welche 2016 in den NOZ Medien aufging.

Das Bundeskartellamt stimmte dem Deal zwischen NOZ Medien und Schwäbisch Media am 24. Januar 2024 letztendlich zu. Unbestritten ist, dass die SVZ, die als erklärte Heimatzeitung an neun Orten Lokalredaktionen unterhielt, in Schieflage geraten war. Die Auflage war seit Jahren gesunken; laut Wikipedia seit 1998 um 60,5 Prozent. 2023 waren es nur noch 56.967 Exemplare. Der Anteil der Abonnenten lag jedoch bei bemerkenswerten 80,6 Prozent, worin sich eine starke Blattbindung ausdrückt.

die alte Wetterkarte in der SVZ

Zu den Problemen seines Blattes äußerte sich Chefredakteur Michael Seidel bei NDR MV Live am 29. März 2023 ausführlich. Ausschlaggebend seien die Kostensteigerungen, „selbstverschuldet und auch durch politische Grundsatzentscheidungen verschuldet“, die mit dem Geschäftsmodell in Einklang zu bringen wären. Was hieße „einerseits weiterhin so viele Reporter und Redakteure in der Fläche zu erhalten, aber gleichzeitig die Kostensituation zu optimieren.“ Auch die Zustellung habe sich infolge der Anhebung des Mindestlohnes extrem verteuert. „In ländlich dünn besiedelten Räumen koste sie inzwischen in manchen Regionen mehr als das gesamte Abo.“ Die zentrale Herausforderung aber sei, so Seidel: „für unsere Inhalte aus der Region hinreichend bezahlende Nutzer zu finden – auf Papier wie im Digitalen.“

Umgesetzt konnten die ambitionierten Vorhaben leider nicht. Ab Herbst 2023 wurden Stellen abgebaut, ab 1. Januar 2024 trat der Schwäbische Verlag als Eigner der traditionsreichen Regionalzeitung mit wechselvoller Geschichte auf.

Im Detail informiert über die Entwicklung wurden Leser und Abonnenten der SVZ nicht. Jäh konfrontiert mit der redaktionellen Verschmelzung waren sie am 8. April 2024, als beide Zeitungen im identischen Mantel und in einem Layout erschienen, das weitgehend dem des Nordkuriers entsprach. An ihre Heimatzeitung erinnerte lediglich der Name in der gewohnten Type.

Eine Erklärung für den neuen Auftritt, der mich sehr irritierte, habe ich in der Ausgabe vom 8. April vergeblich gesucht. Am 15. April 2024 rang sich der Chefredakteur des Nordkuriers, Gabriel Kords, schließlich einige beruhigende Worte im Blatt ab: Ziel der Umstellung, die vor allem technische Gründe gehabt habe, sei gewesen, „dass Ihre vertraute Heimatzeitung im Kern so bleibt, wie Sie sie kennen und schätzen.“ Auf mich wirkte die Aussage, die offenbar großer Aufregungen seitens der Leserschaft der SVZ geschuldet war, wenig überzeugend.

Abonniert habe ich die SVZ vor vier Jahren nicht ihrer überragenden journalistischen Standards wegen. Sondern weil deren lokale Ausgabe „Hagenower Kreisblatt“ das bis 1993 zu Mecklenburg-Vorpommern gehörende Amt Neuhaus, wo ich seit 2020 lebe, aus alter Tradition redaktionell mitberücksichtigte. Nach nunmehr dreiwöchiger digitaler Lektüre kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die SVZ zu einem Boulevardblatt verkommen ist. Warum? Es werden Nachrichten von gestern kolportiert, Belanglosigkeiten ausgebreitet und über Geschehnisse aus Gegenden berichtet, die mir völlig fern liegen.

Meine Heimatzeitung erkenne ich jedenfalls in der neuen SVZ nicht mehr. Zwar nennt sich eine Rubrik weiterhin „Hagenower Kreisblatt“, die einstige Berichterstattung auf mehreren Seiten, die sich auf Ereignisse rund um Hagenow konzentriert hat, wurde jedoch stark eingeschränkt. Einen Anlass, die SVZ weiterhin zu beziehen, sehe ich somit nicht mehr, zumal ich glaube, dass die Berichterstattung über meinen Heimatort absehbar komplett gestrichen wird. Mir suggeriert das bereits die den Landesgrenzen strikt folgende Wetterkarte, die seit dem 8. April 2024 verwendet wird. Das seit Juli 1993 zu Niedersachsen und damit dem Landkreis Lüneburg zugehörende Gebiet, das in der alten SVZ auch wettertechnisch berücksichtigt wurde, ist in der neuen Darstellung ausgeblendet.

die neue Wetterkarte in der SVZ

Warum die Fusion Knall auf Fall vollzogen wurde, hat der Geschäftsführer vom Schwäbischen Verlag, Lutz Schumacher, am 10. April 2024 beim Portal kress erklärt: Die „zügige Vereinheitlichung“ der beiden Zeitungen sei notwendig gewesen, weil man nur so in der Lage sei, „eine starke Stimme auf dem Medienmarkt im Nordosten Deutschlands zu bleiben – alleine wäre das für beide Häuser perspektivisch immer schwieriger geworden.“

Seine Zuversicht teile ich nicht. Schwer vorstellbar, dass die Abonnenten der SVZ treu bleiben. Systemrelevanz im Sinne einer „vierten Gewalt“ kann die Mischung aus Boulevard und Kolportage jedenfalls nicht für sich beanspruchen. Bemerkenswert ist, dass Michael Seidel in dem besagten Gespräch über die Zukunft seiner Zeitung bei NDR Live im März 2023 selbst auf diese wichtige Funktion der Medien zu sprechen kam. Aus Sorge, dass die SVZ diese Rolle würde einbüßen müssen? Entscheidend, so argumentierte er, sei am Ende die Frage: „Haben wir noch guten Journalismus? Auch bis in die kleinste Region hinein?“ Oder begleite der Journalismus manche Region „nur noch im Überflug und stehe dann am Rand und sehe zu, wie demokratische Aushandlungsprozesse in Gemeinden, in Städten, in Kreistagen ohne öffentliche Begleitung stattfänden und dann möglicherweise auch nicht mehr so demokratisch funktionierten?“ Eben das sei für ihn eine Frage von Systemrelevanz.

Die Prognosen sind alles andere als rosig. Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) rechnet damit, dass in Kürze rund 4.400 Kommunen von keiner Zeitung mehr beliefert werden. Medien und Politikwissenschaftler postulieren seit langem, dass mit Lokalzeitungen nicht nur ein Stück Kultur verlorengeht, sondern die Demokratie dadurch gefährdet ist. Damit sich Bürger eine fundierte Meinung über das Geschehen in ihrer Kommune oder Gemeinde machen können, ist eine umfassende wie auch sorgfältige Berichterstattung aus ihrem unmittelbaren Lebensumfeld essentiell. „Kommunen ohne objektive lokale Information sind der Willkür der Information ausgesetzt“, so Michael Konken, Dozent für Politik und Journalismus, in seinem Gastbeitrag für den Mediendienst turi2 am 30. Juni 2023. – Eine Aussage, die uns zu denken geben sollte.

Für die Gemeinde Amt Neuhaus besteht bislang nur die Hoffnung, dass die “Landeszeitung Lüneburg” in die Bresche springen könnte. Eine goldene Nase wird sich das Medienhaus damit sicher nicht verdienen. Denn es wären Investitionen zu tätigen. Etwa für eine verstärkte Berichterstattung über das rechtselbische Geschehen, für attraktive digitale Kennenlernangebote der heimatlos gewordenen E-Paper-Leser der SVZ oder für eine optimierte Auslieferung der Printausgabe im Amt Neuhaus. Verdienstvoll wäre ein publizistisches Engagement allemal. Denn ohne Ausgleich durch eine ausgewogene und sachliche Berichterstattung wächst die Gefahr für Filterblasen und eine damit verbundene Instrumentalisierung der politischen Willensbildung durch Manipulation und Fake News noch mehr. – „Kommunen ohne objektive lokale Information sind der Willkür der Information ausgesetzt“, so Michael Konken.

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