Zu den fixen Ideen der Städter, die von einem Leben auf dem Land träumen, gehört die Vorstellung, dass es auf dem Land ruhig ist. Vielleicht fällt der Blick des lärmbelästigten Städters just in diesem Sehnsuchtsmoment auf eine weit verbreitete Hochglanzzeitschrift, die die Vorzüge eines Lebens in abgeschiedener Natur in Szene setzt. Eine Kuh grast auf sattgrüner Weide; im Hintergrund ein verschlafenes Dorf.
Ausgeblendet wird, dass es auf dem Land genauso geschäftig zugeht wie in der Stadt. Dort wo ich seit gut eineinhalb Jahren lebe, wird intensiv Landwirtschaft betrieben und im großen Stil Mais für die hier existierende Biogasanlage angebaut. Und das längst nicht mehr – wie es sich ein Städter womöglich verklärt – unter Zuhilfenahme von Sensen und Pferdefuhrwerken.
Auf dem Land ist es laut! Wenn die Felder bestellt werden und der Mais für die Biogasanlage mit ihren fünf Blockheizkraftwerken eingebracht wird, sehnt man sich nach den Dezibel in der Stadt. In Kolonnen sind dann ununterbrochen riesige Landmaschinen, Häcksler und Traktoren unterwegs. Ohrenbetäubend ist der Lärm, wenn sie im Minutentakt an meinem Haus vorbeiziehen. Auch des Nachts. Denn: einen Feierabend wie die Städter kennen Landwirte nicht.
Und so wer meinen sollte, dass an den Wochenenden wie in der Stadt auch auf dem Land weitgehend Ruhe herrscht, der irrt. Dann werden der eigene Hof, die Gärten und Beete in Stand gesetzt. Kreissägen schreien, Aufsitzrasenmäher und Traktoren wummern. Ein Übriges zur Ruhestörung tun in der Elbtalaue die Motorräder, die an den Wochenenden in Scharen einfallen, um ihr Fahrvergnügen in unseren engen und kurvenreichen Straßen zu finden.
Zur Ruhe kommt das Land nie. Selbst dann nicht, wenn sich die Menschen erschöpft vom harten Tagwerk betten. Ruhen deren Hände und Maschinen still, dann lassen sich die Tiere hören. Nicht nur die Nachtaktiven. Stille ist auf dem Land nie still.
Schon gar nicht in der stillen Jahreszeit. Die ruffreudigen Schreigänse, die in der Elbtalaue in Scharen überwintern, plappern ohne Unterlass in einem weichen Moll. Markerschütternd ist am Ende jeden Jahres das Wehklagen der Herde, deren Treiben auf der Weide von meinem Schreibtisch gut zu beobachten ist. Das Wachsen der Kälber, die Anfang des Jahres geworfen wurden. Wie sie tollen, hüpfen, sich balgen. Anfangs noch fürsorglich von den Alt-Bullen und -Kühen beäugt, dann zunehmend selbstsicherer. Im Spätherbst lassen sich kaum noch Unterschiede zwischen Alt und Jung ausmachen. Allenfalls bringen die Kinder einige Kilos weniger auf die Waage als die Eltern.
Fast ein Jahr lang hat mich die Herde begleitet; die Kleinen belustigt. Bis das schmerzerfüllte Wehklagen der Alten die Tage und Nächte ab Mitte Dezember füllt. Ihr Verlust ist groß. Die Herde wurde dezimiert. Die Jungen dem Schlachter zugeführt. Nach Tagen ebbt ihr Schreien ab. In der Ferne kläfft ein Hund. Der Nachbar mäht Rasen, gegenüber hackt wer Holz.
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Hallo. Sehr schön beschrieben oder um schrieben. Mit Landwirtschaft hat das alles nichts zu tun. Es ist eine Vergewaltigung an den Ackernutzflächen . Die Städter glauben der grüne Strom kommt einfach so aus der Steckdose. Mit wie viel Lärm Umwelt Belastung Gift und Nitrat Belastdung er erzeugt wird wissen die wenigsten. Unser jüngster Sohn wohnt in Berlin. Er sagte bei seinem letzten Besuch in Berlin ist es ruhiger als in Rosien. Wie Recht er hat. Schönen Abend.
Ein ruhiges besinnlichen Weihnachten wünschen Familie Zücker
Wie Sie vielleicht wissen: ich bin aus Berlin hier hergezogen. Und teile die Meinung Ihres Sohnes. Und zudem Ihren Eindruck über die Städter, die sich völlig falsche Vorstellungen vom Landleben machen.
Herzlichen Grüße nach schräg Gegenüber. Viellicht läßt es die Pandemie irgendwann endlich zu, dass wir uns zusammensetzen!
„Welch eine himmlische Empfindung ist es, seinem Herzen zu folgen.“ (Johann Wolfgang von Goethe) … Gesine, dein Umzug ins Ländliche tut dir gut. Das liest man aus deinen Zeilen heraus … ich lebe dieses „ländliche“ Leben schon über 40 Jahre … aktuell dank des fortschreitendes Alters mit noch viel mehr Empfinden für das Wesentliche im täglichen Trott, der nur durch positives Umdenken zu ertragen ist.
„Im täglichen Trott, der nur durch positives Umdenken zu ertragen ist…“
Das gibt mir schwer zu denken…
Als ich Mitte 50 war … habe ich angefangen, umzudenken. Heute bin ich 67 J. jung und es geht mir prächtig. Ich habe mir ganz einfach eine andere Brille aufgesetzt, durch die ich die nächsten 25 Jahre schauen werde. Und du wirst es nicht glauben … es klappt! 🙂 LG. vom Hotzenplotz