Ein Sohn aus Neuhaus an der Elbe ist Carl Peters. Nicht zu verwechseln mit Karl Peters (1806 – 1872) der im 19. Jahrhundert im Ort ein beliebter Pastor gewesen ist. Weshalb die ortsansässige Baumschule 2017 eine Neuzüchtung nach dem Pfarrer benannte, der wiederum der Vater des Erstgenannten ist.
An den Sohn erinnert in Neuhaus ein mächtiger Findling im Vorgarten des heutigen Gemeindehauses, das 1993/94 durch Umbauten des ehemaligen Pfarrhauses entstanden ist, in dem Carl am 27. September 1856 zur Welt gekommen war. Auf dem Findling eingraviert ist die Aufschrift: „Unserem Dr. Carl Peters. Begründer von Deutsch-Ostafrika“. Das Ensemble befindet sich in der heutigen Parkstraße. Zu DDR-Zeiten hieß die schmale Gasse, die zum Hotel Hannover führt, Stalinallee. Zuvor soll sie den Namen von Carl Peters getragen haben.
Der solcherart Geehrte hatte sich 1884 eigenmächtig nach Afrika aufgemacht, um sogenannte Schutzverträge auszuhandeln. Humanitär oder gar christlich motiviert war seine Mission nicht. Bis heute nennen Ostafrikaner ihn „Mkono-wa-damu“ – „der Mann mit den blutigen Händen“. In der Dokumentation „Kolonien unter der Peitsche“ heißt es über Carl Peters, dass er „ein Psychopath mit sadistischen Neigungen, krankhaft übersteigertem Geltungsbedürfnis und hysterischem Ehrgeiz“ gewesen sei. Der Historiker Hans-Ulrich Wehler nannte ihn in seiner Studie „Bismarck und der Imperialismus“ einen „ultranationalistischen Psychopathen, der das messianische Sendungsbewusstsein hatte, ausersehen zu sein, Deutschland ein Weltreich für die kommenden Jahrtausende zu schaffen.“
Nachdem im Kaiserreich bekannt geworden war, welche Gewalttätigkeit gegen Indigene Peters sich herausgenommen hatte, wurde er 1895 von seiner Funktion als Reichskommissar des Kilimandscharo-Gebietes, sprich: dem „Schutzgebiet Deutsch-Ostafrika“ entbunden. Zwei Jahre später ist er infolge eines Disziplinarverfahrens unehrenhaft aus dem Kolonialdienst entlassen worden. Längst hatte „Hänge-Peters“, wie er in der Öffentlichkeit nun genannt wurde, sich nach England abgesetzt, wo er eine Bergbaugesellschaft gründete, die mehrere Minen in Südafrika betrieben hat.
Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges kehrte er nach Deutschland zurück. Er erhielt seinen Pensionsanspruch zurück, den Titel „Reichskommissar a.D.“ hatte Wilhelm II. ihm bereits 1905 im Zuge einer Rehabilitierungskampagne wieder zugestanden. – Carl Peters betätigte sich fortan publizistisch und ist während eines Kuraufenthaltes in Woltdorf bei Peine am 10. September 1918 verstorben. Er wurde in Hannover, seinem zeitweiligen Wohnort, beigesetzt.
Das Denkmal
Mit dem erstarkenden Nationalsozialismus wurde der Kolonialpionier enorm aufgewertet. Nun galt er als Vorreiter deutscher Herrschaftsansprüche und als Prototyp des deutschen „Herrenmenschen“. Der Peters-Kult nahm beträchtlichen Aufschwung. Sein Konterfei zierten Briefmarken, ein Kriegsschiff wurde nach ihm benannt, ein Propagandafilm mit Hans Albers über sein Leben gedreht und es gab kaum eine Stadt, in der nicht Straßen und Plätze nach ihm benannt wurden.
So auch in Neuhaus an der Elbe, seiner Heimatstadt. Den kolossalen Findling hatte die 1884 von Carl Peters gegründete „Gesellschaft für Kolonisation“ gestiftet. Aufgestellt wurde er anlässlich Peters‘ 75. Geburtstages am 27. September 1931 im Garten seines Geburtshauses. Im Beisein von örtlichen Honoratioren, Mitgliedern kolonialer Interessenverbände, darunter ist auch der letzte Kommandeur der deutschen „Schutztruppe“ von Ostafrika, General Paul von Lettow-Vorbeck (1870 – 1964), gewesen, sowie Vertretern des Stahlhelms und der NSDAP. Günther Hagen weiß in seinen gesammelten alten Ansichten von Amt Neuhaus zudem über das Ereignis zu berichten, dass „politische Gegner“ den Stein in der Nacht vor der feierlichen Enthüllung mit roter Farbe übergossen hätten und dass Apotheker Benz die Flecken gerade noch rechtzeitig vor Eintreffen der illustren Gäste habe beseitigen können.“[1]
Schon 1894 hatte Neuhaus anlässlich eines Besuches Peters für ihren Bürger beim Baumeister Kurt Hoffmann das „Carl-Peters-Lied“ in Auftrag gegeben; einen Lobgesang, der den Kolonialpionier und seine Geburtsstadt ordentlich rühmen sollte. Dem Vernehmen nach soll Baumann, der für seine kolonialen Liedtexte damals bekannt war, mit Peters befreundet gewesen sein. – Die erste Strophe lautet so:
„Heil dem Ort, in dessen Mauern einst des Helden Wiege stand
Den mit immergrünem Lorbeer dankbar schmückt das Vaterland
Der in unsrer Kolonien Kranz die schönste Blüte wand:
Heil sei Neuhaus an der Elbe, wo Karl Peters Wiege stand.“
Nach der feierlichen Enthüllung des Findlings im September 1931 hatte der Stein 20 Jahre lang seinen Platz im Vorgarten des Neuhauser Pfarrhauses gefunden. Bis er 1951 anlässlich des 95. Geburtstages von Carl Peters mit Blumen geschmückt wurde. Es heißt, dass Mitglieder der FDJ (Freie Deutsche Jugend – die Jugendorganisation der DDR) die Ehrung vorgenommen hätten. Die SED-Kreisleitung fackelte nicht lange. Unverzüglich war der Entschluss gefasst, den Gedenkstein zu beseitigen. Eigentlich sollte er im Carrenziener See versenkt werden. Da man Transportprobleme mit dem Koloss hatte, wurde entschieden, ihn 50 Zentimeter tief im Vorgarten des Pfarrhauses zu vergraben.
Dort ruhte er 43 lange Jahre. Der verbuddelte Findling tauchte erst 1994 wieder auf, als das Neuhauser Pfarrhaus zum Gemeindehaus umgebaut wurde. Die Diskussionen, ob man den Gedenkstein wieder aufstellen solle oder nicht, verliefen damals offenbar recht kontrovers. Einige Stimmen, die sich dafür ausgesprochen haben, sind kolportiert. Etwa, dass der Kolonialist von der DDR-Propaganda zum Schwarzen Peter der DDR-Propaganda aufgeblasen worden sei, oder, dass man das Bild vom Verbrecher vergessen könne, wenn man sich eingehender mit ihm beschäftigen würde. Peters sei „ein radikaler Zeitgeist, aber kein Massenmörder“ gewesen. Ein „sündiger Mensch“, den man „im Lichte seiner Zeit betrachten müsse.“
Am Ende haben sich die Befürworter durchgesetzt; der Stein wurde 1995 wieder aufgestellt. Der ehemalige Schuldirektor und Heimatkundler Werner Hüls (1926 – 2016) steuerte dafür eigens eine Informationstafel bei: „Dr. Carl Peters wurde am 27. September 1856 im Pfarrhaus zu Neuhaus/Elbe geboren. Er vertrat die Idee eines großen deutschen Kolonialreiches und gilt als Begründer der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Die Kolonialpolitik hat sich insgesamt als ein Irrweg erwiesen. Die Persönlichkeit des Dr. Carl Peters, sein Wirken und der Gedenkstein sind umstritten“.
Hüls knappe Worte lassen den damaligen Disput nur erahnen. Seine Tafel jedenfalls führt seitdem ein beredetes Eigenleben, denn sie verschwindet regelmäßig. Am Gedenkstein hingegen wurde bisher nicht gerüttelt.
Profunderes Wissen über den Kolonialisten Carl Peters konnte man tatsächlich lange Zeit nicht voraussetzen. Denn Jahrzehnte lang hatte man versucht, die Gräueltaten in den sogenannten Schutzgebieten des deutschen Kaiserreichs vergessen zu machen und den Glauben genährt, als seien die Deutschen eine „gute Kolonialmacht“ gewesen. Gerade so als habe es keine Unterdrückung, keine Sklaverei, keinen Raub, keine „Menschenzoos“ und keine Gewalt und massenhafte Vernichtung gegeben.
Zwar hat die schwarz-rote Koalition 2018 nach zähem Ringen den Beschluss gefasst, die koloniale Vergangenheit aufarbeiten zu wollen. Doch erst jüngst – mit den neu entbrannten Rassismus-Debatten und der internationalen Bewegung „Black Lives Matter“, in deren Folge allerorten Denkmäler und Statuten von Rassisten und Sklavenhändlern gestürzt werden – sind die Verbrechen der Kolonialzeit in ein breiteres Bewusstsein getreten.
Nun ist es nicht etwa so, dass man sich dessen in der Gemeinde Amt Neuhaus nicht bewusst wäre. Auf einer Sitzung Anfang Juli 2020 hat Bürgermeister Andreas Gehrke erklärt, dass die Debatte um den Bürger der Stadt „abseits des Halbwissens auf einer wissenschaftlichen Basis geführt“ werden solle, wofür er „allerdings noch die richtigen Ansatzpunkte“ suche.[2]
Kommt der Stein jetzt ins Rollen? – Beispiele, wie man umstrittene Denkmäler umwidmen und kritisch mit ihnen ungehen kann, gibt es inzwischen an einigen Orten.
Kurz nach Veröffentlichung des Beitrages kam diese Information: Seit einem Vierteljahr existiere ein „Arbeitskreis Carl-Peters-Stein“. Er habe sich am Rande des Gemeinderates von Amt Neuhaus konstituiert und würde „für die Nach-Corona-Zeit“ Anstöße mit dem erklärten Ziel erarbeiten, „etwas zu verändern.“
[1] Rassismus-Debatte hält Einzug in die Gemeinde; in Hagenower Kreisblatt vom 8. Juli 2020.
[2] Amt Neuhaus in alten Ansichten. Von Günther Hagen, Zaltbommel/Niederlande 1994.
Das Carl-Peters-Lied von Kurt Hoffmann (1894)
1. Heil dem Ort, in dessen Mauern einst des Helden Wiege stand
den mit immergrünem Lorbeer dankbar schmückt das Vaterland
der in unsrer Kolonien Kranz die schönste Blüte wand:
Heil sei Neuhaus an der Elbe, wo Karl Peters Wiege stand
2. Feurig für die Kolonien stritt der Held in Schrift und Wort
der Begeisterung heilge Flamme facht er an in Süd und Nord
Wie der Waldbrand wuchs sie zündend rings im Vaterlande fort:
Vaterland und Kolonien war des Helden Losungswort
3. Seine Taten sahn die Völker voller Staunen tatenlos
siegreich schickt er seine Streiter in des dunklen Erdteils Schoß
Unter seiner Gegner Augen wuchs die Macht ihm riesengroß
und der Briten stolze Hoffnung gab der Held den Todesstoß
4. Für den Deutschen Emin Pascha bracht er sich zum Opfer dar
tausend dunkle Todesarme reckten dräuend die Gefahr
doch durch unerforschte Lande zog er sieghaft wie der Aar:
furchtlos bracht er sich zum Opfer auf des Vaterlands Altar
5. Listenreich und kühn und tapfer, auch im Unglück treu und echt
macht er seine schwarzen Krieger stets zum Sieger im Gefecht
Landerwerber, Städtestürmer, leuchtend Vorbild dem Geschlecht
scharfen Geistes, nimmer müde, auch im Unglück treu und echt
6. Und nach Neuhaus an der Elbe, dessen größter Sohn er war
kehrt nach tatenreichem Leben er zurück nach manchem Jahr
Und der Rührung Träne schimmert ihm im Auge hell und klar
Heil sei Neuhaus an der Elbe, das den großen Sohn gebar!
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Der erwähnte Film ‚Carl Peters‘ beginnt übrigens in Neuhaus/Elbe, bevor er nach London führt und schließlich nach Sansibar. Die Titelrolle war mit Hans Albers zugkräftig besetzt. Albers, zur Erinnerung, war Schauspieler und Sänger, filmte u.a. mit Marlene Dietrich und Heinz Rühmann, mit dem er auch den Schlager „Jawohl meine Herren“ einspielte. Im Film, so liest man, gibt er einen tatendurstigen Patrioten mit nord-deutschem Zungenschlag. Regie Herbert Selpin. Der Film von 1941 gilt heute als anti-britischer Propagandafilm.
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