Achte Etappe: Am Ostufer des Dnjestr
Achte Etappe: Am Ostufer des Dnjestr

Achte Etappe: Am Ostufer des Dnjestr

Nach Rückzugsgefechten der Deutschen hatte sich der Krieg im Osten nach Moldawien und Rumänien verlagert. Die 320. Infanterie-Division, bei der mein Großvater Bernhard für das Grenadier-Regiment 586 verantwortlich zeichnete, musste sich aus ihren Stellungen nordwestlich von Kirowograd zurückziehen. Man überquerte den Bug und stieß Ende März 1944 süd-ostwärts von Balta auf übermächtige russische Truppen. Durch hohe Verluste stark geschwächt, versuchten die verbliebenen Männer nun, einen Übergang über den Dnjestr zu finden und russische Truppen, die mit ihren Verbänden ebenfalls diesem Fluss zustrebten, daran zu hindern, Brückenköpfe auf dem Westufer zu gewinnen.

Bernhard Oskar Wilhelm von Prittwitz (1896 – 1944) © Familie vP

Die Kampfhandlungen sind im Einzelnen heute kaum mehr nachvollziehbar. Fest steht, dass die deutschen Truppen immer weiter zurückgedrängt wurden und bei Tiraspol – seit 1990 Hauptstadt der Transnistrischen Moldauischen Republik – zum Stehen gekommen waren. Besonders heftige Kämpfe sind am Ostufer des Dnjestr ausgebrochen. So auch am 25. April 1944 nahe der Stadt Grigoropol in Bessarabien, damals noch dem mit Deutschland verbündeten Rumänien zugehörig, dem heutigen Moldawien. Um 6.00 Uhr morgens haben die Russen eine Offensive gestartet, bei der das Regiment vollständig überrannt wurde, das links neben dem Grenadier-Regiment 586 stand; also der Einheit, die mein Großvater damals befehligte.

Er entschloss sich zum Gegenstoß. Trotz anhaltenden Artillerie- und Granatwerferbeschusses sollte es ihm und seinen Männern zunächst gelingen, die Lage am Nordflügel stabil zu halten. Doch der Gegner ließ nicht nach. Gegen 14.00 Uhr traf meinen Großvater auf seinem Regiments-Gefechtsstand ein Granatschuss. Er war auf der Stelle tot.

die Karte verzeichnet den Ort seines Todes und den Soldatenfriedhof, wo mein Großvater beigesetzt wurde © Familie vP

Generalleutnant Georg-Wilhelm Postel hat nicht nur dafür Sorge getragen, dass mein Großvater posthum zum Oberst befördert und mit dem Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes ausgezeichnet wurde. Er ließ meiner Ur-Großmutter Eleonore außerdem ein ungewöhnlich langes und sehr einfühlsames Kondolenzschreiben zukommen, das er drei Tage nach Bernhards Tod an der Front diktiert hatte. Hier Auszüge aus seinem Schreiben mit Datum vom 28. April 1944:

„Ehe ich Ihnen, meine gnädigste Frau, Näheres schreibe, möchte ich Ihnen und den Söhnen unseres Berndels, wie wir ihn immer nannten, zugleich im Namen meiner gesamten Herz-Division das herzlichste Beileid übermitteln. Möge Ihnen, sehr verehrte gnädige Frau, unser Herrgott die Kraft geben, diesen schweren Schicksalsschlag zu tragen. Wir Menschen sind armselige Tröster, besonders wenn wir selbst, wie ich, durch den Tod eines Sohnes am Feind den Ritterschlag dieser großen Zeit erhalten haben.

Mich persönlich trifft dieser Verlust umso härter, als ich in ihrem Sohn nicht nur einen vorzüglichen Soldaten besaß, sondern auch einen Menschen von besonderer Tiefe und Ritterlichkeit. Da wir beide aus einem Jahrgang stammten, waren wir uns menschlich so nahe gerückt, dass ich heute sagen möchte, Berndel ist mir zum Freund geworden.

Die Division hat schwere Kämpfe hinter sich. Sie hat sie alle siegreich bestanden, dabei aber diesmal besonders harte Kommandeur-Verluste erlitten. Außer Ihrem Sohn beklage ich den Heldentod des Kommandeurs von Grenadier-Regiment 585, Oberstleutnant Koch, des Kommandeurs des Grenadier-Regiments 587, Oberstleutnant Kynast und des Kommandeurs des Divisions-Füsilier-Bataillons 320, Major Weidemann. Außerdem ist noch eine Reihe prächtiger Bataillons- und Abteilungskommandeure am Feind geblieben. Ich bin dankbar dafür, dass ich all‘ die Kommandeure kurz vor ihrem Opfer sprach. […].

So wie ich Berndel kennengelernt habe, gnädige Frau, ist es, glaube ich, nicht in seinem Sinne, wenn wir in Trauer verharren würden. Vielmehr entsprach es seiner ganzen Art, den Blick geradeaus zu richten und nun erst recht voller Zuversicht zu sein. Was mir an ihrem Sohn immer besonders gefallen hat, war seine ritterliche, offiziersmäßige Haltung. Kein Wunder auch bei der großen Tradition seines Geschlechts! Ich bin stolz und dankbar, Bernhard von Prittwitz in meiner Division besessen zu haben. Sein Name wird immer einen besonders guten Klang behalten.“

Nach dem Einmarsch der Roten Armee wurde der Soldatenfriedhof in Bessarabien, dem heutigen Moldawien, vollständig zerstört © Familie vP

Ich bedauere sehr, dass ich meinen Großvater, einen Ritter der traurigen Gestalt, nicht habe kennenlernen dürfen. 1931/32 hatte er alles verloren, was ihm am Herzen gelegen war. 1944 dann auch sein Leben in einem sinnlosen Krieg. Das Ende des Zweiten Weltkrieges war an seinem Todestag absehbar. Keine zwei Monate darauf, im Juni 1944, sind die Alliierten in der Normandie gelandet. Kein halbes Jahr später gelang der Roten Armee der Vorstoß weit nach Westen an Oder und Neiße, womit das Kriegsende besiegelt war.

Die 320. Infanterie-Division ist bei Kämpfen Ende August vollständig aufgerieben worden. Georg-Wilhelm Postel, gleichalt mit meinem Großvater und wie er 1914 in die Kaiserliche Armee eingetreten, hatte man kurz zuvor von der Division abgezogen. Er übernahm das Kommando über das XXX. Armeekorps und geriet nach einer sowjetischen Großoffensive in Gefangenschaft. Postelist im Kriegsgefangenenlager Schachty am Don im Alter von 57 Jahren am 20. September 1953 den Folgen einer Lungenentzündung erlegen.

Epilog:

Mein Vater Krafft-Erdmann ist 1928 in Schwundnig im niederschlesischen Kreis Oels geboren. Ihm und seinen Geschwistern wurde Melkof, in der Provinz Mecklenburg gelegen, 1934 zur zweiten Heimat. Der Ort liegt wenige Kilometer von Rosien entfernt, wo ich zukünftig leben werde.

Wieso und wie gelangten sie dorthin? Eine Frage, der ich im Zuge der Recherchen zu meinen „Ahnen im Schatten“ auch nachgegangen bin. Es war eine Spurensuche, die sich über viele Stationen erstreckt hat.

Eine ziemlich verworrene Geschichte, die ich hier in Etappen berichte. Sie beginnt in Rostock, wo meine Großeltern Bernhard von Prittwitz und Gaffron und Helene, geborene von Jagow, 1921 unter keinem glücklichen Stern geheiratet haben. Nachdem meine Großmutter einen handfesten Skandal ausgelöst hatte, ist das junge Paar vom Familiensitz Mühnitz nach Schwundnig verbannt worden. Nach dem Tod der beiden alten Herren, Ernst-Ludwig von Jagow und Wilhelm von Prittwitz, hat Helene Mut gefasst und Bernhard verlassen; einen Mann, den sie nie geliebt hat. Als Vetaran des Ersten Weltkrieges wurde mein Großvater nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im März 1935 reaktiviert. Er leitete zunächst Wehrbezirkskommandos und meldete sich dann freiwillig an die Front: “Meine Kameraden sterben an der Front und ich sitze in der warmen Stube in Jägerndorf herum.“

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4 Comments

  1. Pingback: Wie kam meine Familie nach Melkof? Neunte Etappe: Eine Autoschlosserlehre mit Konsequenzen | Rosiener Notizen

  2. Stefan Koch

    Sehr geehrte Frau von Prittwitz, durch Zufall bin ich auf Ihren Blog aufmerksam geworden und habe Ihren obigen Beitrag gelesen. Mein Großvater, Max Koch, vom Grenadier-Regiment 585 ist am 15.04.1994 in der Nähe von Speia östlich des Dnjestr im heutigen Moldawien gefallen. Mir liegt ein Brief von General Postel vor, der in Teilen nahezu gleichlautend mit dem Ihren ist – angesichts der Vielzahl der Opfer an diesem Ort hatte der Herr wohl viel zu schreiben… Vielleicht kannten sich Ihr und mein Großvater sogar??? Auch er erhielt posthum das Ritterkreuz… Ich war vor Jahren in Speiia und bei dem nahegelegenen russichen Kriegerdenkmal Serpeni, in dessen Nähe auch mein Großvater gefallen sein dürfte – ein unvergessliches Ereignis. Was hatte mein Großvater hier verloren, war für mich die Kernfrage. Was galt es hier zu verteidigen außer dem Wahnsinn?
    Mit freundlichen Grüßen Stefan Koch

    1. Lieber Herr Koch,
      ich danke Ihnen für diese Kontaktaufnahme.
      Mannsstark sind die Grenadierregimenter der 320. Infantrier-Division nicht gewesen. Mein Großvater „befehligte“ ab Januar 1944 390 Mann, darunter vorrangig junge Offiziere und Offiziersanwärter. Mutmaßlich kannten sie sich, sind Kameraden gewesen. Vielleicht haben sie sich sogar ausgetauscht? Womöglich über den Irrsinn, im Wissen vielleicht sogar, dass dieser angezettelte Zweite Weltkrieg längst verloren war? Sie haben für diese Hybris ihr Leben verloren, wie 3,8 Millionen deutsche Soldaten, die an der Ostfront eingesetzt waren.
      Mein Vater hat das Grab von Bernhard, meinem Großvater in Bessarabien, dem heutigen Moldawien nach 1991 gesucht – und gefunden. Den Friedhof in Cobusca Vechechatten, wo mein Großvater mit vielen anderen eine Ruhestätte nach sinnentlernten Kämpfen gefunden hat, haben die sowjetischen Truppen geschliffen. Nichts erinnert – jedenfalls augenfällig- mehr daran.

      1. Stefan Koch

        Liebe Frau v. Prittwitz,
        erst heute komme ich wieder auf Ihren Blog und sehe Ihre Antwort. Herzlichen Dank! Und auch erst heute (hatte ich es letztes Jahr übersehen?) lese ich in dem Brief von Postel “…Außer Ihrem Sohn beklage ich den Heldentod des Kommandeurs von Grenadier-Regiment 585, Oberstleutnant Koch, des Kommandeurs des Grenadier-Regiments 587…” – das ist dann mein Großvater und die Wahrscheinlichkeit, dass sich Ihr und mein Großvater kannten, ist groß.
        Nunja, heute beschäftigen unsere andere Themen und Herausforderungen. Wollen wir hoffen, dass wir diese gut durchstehen.
        Viele Grüße
        Stefan Koch

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