Wie kam meine Familie nach Melkof? Zweite Etappe: Mühnitz und ein handfester Skandal
Wie kam meine Familie nach Melkof? Zweite Etappe: Mühnitz und ein handfester Skandal

Wie kam meine Familie nach Melkof? Zweite Etappe: Mühnitz und ein handfester Skandal

Nach ihrer Hochzeit in Rostock haben mein Großvater Bernhard und seine junge Frau Helene, Tochter des letzten Oberpräsidenten von Danzig und Westpreußen Ernst-Ludwig von Jagow, 1921 Quartier bezogen bei meinen Ur-Großeltern Wilhelm Ferdinand Emil von Prittwitz und Gaffron (1864 – 1930) und Eleonore, eine geborene Freiin von Buddenbrock-Hettersdorff (1872 – 1953). Und zwar auf dem Familiengut Mühnitz im Kreis Trebnitz, knapp 30 Kilometer von Breslau entfernt. Zur Kirche mit Patronatsgestühl der Familie sind sie im 1,7 Kilometer entfernten Nachbardorf Peterwitz gegangen, wo auch ein Eisenbahnanschluss bestand.

die Kirche in Peterwitz © Familie vP

Auf dem Gut hatte meine Ur-Großmutter Eleonore das Zepter fest in der Hand. Sie bestimmte, was auf den Tisch kam, welche Tätigkeiten in Haus und Garten zu erledigen waren. Zum Verdruss der 18-jährigen Helene. Die Bevormundung durch die Schwiegermutter gefiel ihr ebenso wenig wie der Umstand, dass sich ihr Ehemann Bernhard den Anweisungen seines Vaters zu beugen hatte. Und so entwickelten sich Konflikte, die immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem jungen Paar geführt haben.

Im November 1922 kam der erstgeborene Sohn Wilhelm Paul Wolf-Sixt, Dicki genannt, zur Welt. So richtig glücklich ist meine Großmutter aber nicht gewesen. Ich mutmaße, dass die damals Zwanzigjährige den Schritt, sich aus gekränkter Eitelkeit auf eine Ehe mit dem Prittwitz eingelassen zu haben, verschiedentlich heftig bereut hat. Helene, ein verwöhntes Danziger Stadtkind, konnte sich mit dem mit dem harten Leben auf Gut Mühnitz nicht abfinden. Sie hatte die Bevormundung durch die Schwiegereltern und schließlich auch den Mann satt, den sie nicht hat lieben können. Er sie zeitlebens dafür umso mehr…

Gut Mühnitz © Familie vP

Dicki war keine zwei Jahre alt, da schuf meine Großmutter vollendete Tatsachen und stieß damit alle vor den Kopf. Heimlich ließ sie sich mitsamt Kleinkind vom Kutscher zum Bahnhof in Peterwitz bringen. Dort bestieg sie einen Zug, der sie nach Brandenburg an der Havel brachte, wo ihre Eltern inzwischen lebten. 1922 hatte Reichpräsident Paul von Hindenburg Ernst-Ludwig von Jagow an das dortige Domkapitel berufen.

Groß war das Entsetzen, als man ihre Flucht bemerkte. Ein Skandal unvorstellbaren Ausmaßes! Eine Ehrverletzung sowohl für die Jagows wie für die Familie von Prittwitz. Das Sakrament der Ehe war dem alten Jagow, Oberpräsident a.D. und von Hindenburg bestallter Domherr, heilig. Er kannte kein Pardon und beförderte seine Tochter mitsamt Dicki stante pede nach Mühnitz zurück.

Brandenburger Domherren. Im Vordergrund Hindenburg, links hinter ihm Ur-Großvater Ernst-Ludwig von Jagow © Familie v. P.

Versteht sich, dass die Geschichte damals hohe Wellen schlug. Nicht allein, weil die junge Gutsherrin die Flucht ergriffen hatte. Auch dass seine Exzellenz, wie der alte Jagow allgemein genannte wurde, mit einem üppigen Blumenstrauß in Mühnitz Aufwartung machte, um persönlich bei der Familie Abbitte für das ungeheuerliche Benehmen seiner Tochter zu leisten, hat für allerhand Geschwätz gesorgt. Kurzum, eine für alle Beteiligten hochnotpeinliche Situation. Man sah sich zur Schadensbegrenzung gezwungen. Mit harten Konsequenzen für Bernhard, dem erstgeborenen Sohn und mutmaßlichen Erben von Mühnitz. Entschieden wurde, dass das Paar das Gut verlassen und eine kleine Pachtung übernehmen solle, die 130 Kilometer entfernt lag.

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Epilog:

Mein Vater Krafft-Erdmann ist 1928 in Schwundnig im niederschlesischen Kreis Oels geboren. Ihm und seinen Geschwistern wurde Melkof, in der Provinz Mecklenburg gelegen, 1934 zur zweiten Heimat. Der Ort liegt wenige Kilometer von Rosien entfernt, wo ich zukünftig leben werde.

Wieso und wie gelangten sie dorthin? Eine Frage, der ich im Zuge der Recherchen zu meinen „Ahnen im Schatten“ auch nachgegangen bin. Es war eine Spurensuche, die sich über viele Stationen erstreckt hat.

Eine verworrene Geschichte, die ich hier in Etappen berichte. Sie beginnt in Rostock, wo meine Großeltern 1921 unter keinem glücklichen Stern geheiratet haben.

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